Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Energieversorgung: Bundesrechnungshof warnt vor Stromlücke

Wirtschaft Gefahren nicht im Blick

Jetzt wird die Energiewende zur Gefahr für ganz Deutschland

Wirtschaftsredakteur
Windkraft Windkraft
Möglichst schnell will die Bundesregierung die Energiewende vollziehen – das könnte zur Gefahr für die Wirtschaft werden
Quelle: Getty Images
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
Die Bundesregierung nimmt höhere Strompreise und Versorgungslücken in Kauf, um die Energiewende voranzutreiben. Jetzt warnt der Bundesrechnungshof: Wenn es so weitergeht, ist der Standort Deutschland in Gefahr. Die Kosten sind außer Kontrolle – und es droht eine Stromlücke.

Der Bundesrechnungshof hat dem Bundeswirtschaftsministerium vorgeworfen, die Energiewende unzureichend zu kontrollieren und mangelhaft zu steuern. Diese bereits vor drei Jahren geäußerte Kritik an der Energiepolitik haben die Rechnungsprüfer jetzt in einem weiteren Sonderbericht erneuert – und um eine brisante Analyse zur Versorgungssicherheit ergänzt.

„Seit unserer letzten Bilanz in 2018 hat sich zu wenig getan, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten“, sagte der Präsident des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller, bei der Vorlage des zweiten Sonderberichts: „Das ist ernüchternd.“

Es drohen immer höhere Strompreise

Ging es zuvor hauptsächlich um die Kostenkontrolle der Energiewende, analysierten die Prüfer jetzt auch, ob die Stromversorgung Deutschlands sicher sei. Das Ergebnis ist alarmierend. Die Bundesregierung habe „die sich abzeichnenden, realen Gefahren für die Versorgungssicherheit nicht ausreichend im Blick“, heißt es in der Untersuchung. Das Monitoring der Energiewende sei „lückenhaft“.

Auch seien im jetzigen System „immer höhere Strompreise“ zu befürchten. Der Bundesrechnungshof zitierte dabei aus einer Studie, wonach für die Stromversorgung einschließlich des Netzausbaus in den Jahren 2020 bis 2025 zusätzliche 525 Milliarden Euro aufzubringen seien. Die Strompreise für Privathaushalte lägen bereits um 43 Prozent über dem europäischen Durchschnitt.

Quelle: Infografik WELT

„Der Bundesrechnungshof sieht die Gefahr, dass die Energiewende in dieser Form den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet und die finanzielle Tragkraft der Strom verbrauchenden Unternehmen und Privathaushalte überfordert“, warnte Scheller bei der Präsentation des Sonderberichts: „Das kann dann letztlich die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende aufs Spiel setzen.“

Seine Brisanz erhält der Bericht auch aus der Tatsache, dass die Rechnungsprüfer ihre Kritikpunkte bereits dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt hatten. Die Antworten, Erklärungen und Rechtfertigungen des vom CDU-Politiker Peter Altmaier geführten Hauses wurden in den Bericht der Rechnungsprüfer eingearbeitet. Diese waren aber nicht geeignet, das Fazit der Prüfer nennenswert abzumildern.

Quelle: Infografik WELT

Konkret werfen die Prüfer der Bundesregierung vor, die Folgen des Kohleausstiegs nicht richtig berücksichtigt zu haben. So wurden zu Beginn dieses Jahres bereits elf Steinkohlekraftwerke abgestellt. Insgesamt wird der Ausstieg nach dem „Kohleverstromungsbeendigungsgesetz“ jetzt schneller umgesetzt, als in den Gutachten zur Versorgungssicherheit vorausgesehen.

Das Bundeswirtschaftsministerium hatte sich zuletzt 2019, also vor dem Beschluss zum Kohleausstieg ein Gutachten zur Versorgungssicherheit vorlegen lassen. Darin sei der Kohleausstieg „indirekt mit untersucht“ – und für unbedenklich befunden worden, rechtfertigt sich das Ministerium.

In der Überprüfung dieser Aussagen kommt der Bundesrechnungshof allerdings auf Unstimmigkeiten. Der Vergleich mit dem gesetzlichen Fahrplan zur Stilllegung von Kohlekraftwerken zeige vielmehr, dass die Untersuchung ab 2022 von einer größeren gesicherten Leistung ausgehe, als nach dem beschlossenen Kohleausstieg tatsächlich zu erwarten ist.

Anzeige

Es ergebe sich eine „Planungslücke“ von 4,5 Gigawatt, was der Kapazität von vier großen konventionellen Kraftwerken entspricht. Laut Wirtschaftsministerium bestehe zwar trotz des Kohleausstiegs eine „Lastausgleichswahrscheinlichkeit“ von fast 100 Prozent. Die Chance, dass die Stromnachfrage stets vom Stromangebot gedeckt werden kann, betrage genau 99,94 Prozent.

Doch dies wird von den Prüfern angezweifelt. Die Berechnung der Lastausgleichswahrscheinlichkeit durch das Regierungsgutachten „beruht auf Annahmen, die zum Teil unrealistisch erscheinen oder durch aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklungen überholt sind“.

So sei es „nicht realistisch, davon auszugehen, dass die Ausbauziele für erneuerbare Energien unter den derzeit schwierigen Akzeptanzbedingungen, insbesondere für Windenergieprojekte, erreicht werden“.

Quelle: Infografik WELT

Auch sei es riskant, dass die Bundesregierung ihre Wind- und Solarstromprognose aus den „historischen meteorologischen Bedingungen der Jahre 2009 bis 2013“ ableite. Es sei „nicht sachgerecht, dass diese Simulation kein Jahr mit schwachen Energieerträgen aus Wind und Sonne abbildet“, kritisiert der Bundesrechnungshof.

Dabei zweifeln die Prüfer auch an, dass der Bedarf an Reservekraftwerken ordentlich ermittelt wurde. So hatte die Bundesregierung für den 1. Oktober 2020 zur Absicherung des Strommarktes die Schaffung einer „Kapazitätsreserve“ von zwei Gigawatt vorgesehen.

Die Übertragungsnetzbetreiber hätten mit dem Segen der Bundesnetzagentur allerdings nur die Hälfte dieser Kraftwerksreserve beschafft. Der Bundesrechnungshof „bezweifelt, dass das Bundeswirtschaftsministerium seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Überprüfung des Umfangs der Kapazitätsreserve nachgekommen ist“.

Lesen Sie auch

Im Falle von Strommangel ist bereits heute vorgesehen, dass Industriebetriebe ihre Produktion freiwillig – gegen Entschädigung – zeitweise herunterfahren. Dabei geht das Wirtschaftsministerium von einem Potenzial von 16 Gigawatt aus, das bis 2030 vollständig erschlossen sein werde.

Anzeige

Warum, fragt nun der Bundesrechnungshof, kommt eine Studie des Umweltbundesamtes nur auf ein Potenzial von sechs Gigawatt? Offenbar herrscht in der Bundesregierung keine Einigkeit über die Frage, inwieweit freiwilliger „Lastabwurf“ zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen könne.

Quelle: Infografik WELT

Fraglich sei auch, warum die Bundesregierung glaube, mit „Netzersatzanlagen“ über 4,5 Gigawatt zu verfügen, um damit Störungen des Stromgleichgewichts zu beheben. Im sogenannten Marktstammdatenregister seien aktuell Netzersatzanlagen mit lediglich 9,4 Megawatt erfasst, wundern sich die Prüfer: Das entspreche nur 0,2 Prozent des von der Bundesregierung geschätzten Potenzials.

Auch weitere Annahmen der Bundesregierung entsprächen womöglich nicht mehr der Realität, warnen die Kontrolleure aus Bonn. So gehe die Bundesregierung bei der Vorhersage der Energienachfrage davon aus, dass die Bevölkerung zahlenmäßig auf unter 75 Millionen im Jahre 2050 falle. Im Gegensatz dazu gehe das Statistische Bundesamt allerdings „in den drei wichtigsten untersuchten Varianten mit hoher Wahrscheinlichkeit von 77,6 bis 83,6 Millionen Personen im Jahr 2050 aus“.

Uneinigkeit über die Entwicklung der Stromnachfrage

Die Annahmen des Wirtschaftsministeriums zur Versorgungssicherheit bei Elektrizität seien „teils zu optimistisch und teils unplausibel“, kritisieren die Prüfer. Das Ministerium habe auch kein Szenario untersucht, in dem mehrere absehbare Faktoren zusammentreffen, die die Versorgungssicherheit gefährden können.

So könne es ja etwa sein, dass sich der Netzausbau verzögert und zugleich die grenzüberschreitende Übertragungskapazität eingeschränkt ist. Das Bundeswirtschaftsministerium argumentiert zwar, dass „eine Stapelung verschiedener nachteiliger Szenarien nach dem Stand der Fachdiskussion nicht sinnvoll“ sei. Dieser Einwand aber, befanden die Prüfer, „überzeugt nicht“.

Weitere Unsicherheiten ergäben sich aus dem steigenden Strombedarf für die Elektrifizierung des Verkehrs und für die Herstellung des Energieträgers Wasserstoff in Elektrolyse-Anlagen. Die Annahme der Bundesregierung, die Stromnachfrage werde bis 2030 mehr oder weniger stabil bleiben, teilen die Rechnungsprüfer daher nicht.

Das Bundeswirtschaftsministerium wies die Kritik zurück: Deutschland verfüge über ein konsistentes System zum Bewerten der Versorgungssicherheit. Auch stelle die Wasserstoffproduktion keine Belastung des Netzes dar, weil die Elektrolyse-Anlagen „netzdienlich“ gesteuert werden könnten.

Doch in der Gesamtheit kann das Ministerium die Prüfer nicht überzeugen: „Der Bundesrechnungshof bleibt dabei, dass wesentliche Annahmen, auf denen die derzeitige Bewertung der Versorgungssicherheit am Strommarkt beruht, unrealistisch oder überholt sind“, heißt es im Fazit des Sonderberichts.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema